Themenmonat 01 Recht

Januar - Recht: Von Bettelorden zu BAföG

Unsere Ursprünge

Dem Bild vom „armen Studenten“ haftet seit jeher ein Hauch von Romantik und Freiheit an. In der Realität ging es für schlecht betuchte Studierende aber oft um existenzielle Nöte und Sorgen. Die Finanzierung des Lebensunterhalts im Studium brachte große Herausforderungen mit sich – diese führen schließlich zur Gründung der ersten Studierendenwerke. Wir werfen einen Blick zurück:
Bereits im Mittelalter organisieren sich Studierende ohne finanzielle Mittel, mitunter in regelrechten „Bettelorden“. Andere können Förderer oder akademische Stiftungen überzeugen, ihnen das Studium zu finanzieren – die ersten Formen studentischer Selbsthilfe waren geboren.

Eine neue Dimension nimmt die Frage aber im 20. Jahrhundert an: Mit Ende des Ersten Weltkriegs (1914-1918) schnellen die Studierendenzahlen in die Höhe. Immer mehr bürgerliche Familien können sich ein Studium für ihre Kinder leisten. Und wo es nicht ganz reicht, wissen sich die Studierenden zu helfen: Sie arbeiten auf Feldern und in Fabriken – der „Werkstudent“ ist geboren.

Doch die Lage der mittellosen Studierenden bleibt prekär. Um den wachsenden Problemen zu begegnen, entstehen parallel erste Studentenwerke als Zusammenschlüsse lokaler studentischer Hilfsvereine. Als eingetragene Vereine sind sie rechtlich abgesichert, haben ein größeres Sprachrohr und können sich noch intensiver um Finanzierungshilfen kümmern. Die Entwicklung findet im Nationalsozialismus zunächst ein jähes Ende. Studierendenschaft und Studentenwerke werden gleichgeschaltet und entrechtet – das NS-Regime erstickt Initiativen zur Selbsthilfe.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gründen sich die Vereine neu und modernisieren ihre Ausrichtung. Statt Sachleistungen geht es nun um Geldmittel. 1957 gelingt die Vereinheitlichung unter dem Honnefer Modell – dem Vorläufer des BAföG. Studentenwerke sind nun mit einer allgemeinen Studienförderung betraut und bekommen mehr öffentliche Zuschüsse. Sie verlieren zwar mehr und mehr den Selbsthilfe-Charakter, können sich in der Folge jedoch viel breiter aufstellen und Hilfe über den reinen Lebensunterhalt hinaus leisten.

Die Studentenwerke, die sich gemeinsam mit den neuen Universitäten in den 1960ern und 1970ern konstituieren, können so aus einem schon wertvollen Erfahrungsschatz schöpfen und agieren als professionelle Unterstützer der Studierendenschaft. Das spiegelt sich auch in der ersten Geschäftsordnung des 1971 gegründeten Studentenwerks Kassel wider: Es ist in zehn Abteilungen organisiert, von denen sich die Hälfte direkt um die Bedürfnisse der Studierenden kümmert.

Sozialbetreuung von Studierenden im Nationalsozialismus

Geschichtswissenschaftliche Monografie: „Das Reichsstudentenwerk. Sozialbetreuung von Studierenden im Nationalsozialismus“ von Dr. Christian Schölzel zum Download (60 Seiten, 4 MB):

www.studentenwerke.de/de/content/das-reichsstudentenwerk
2021 vorgelegt anlässlich der Gründung des Deutschen Studentenwerks (DSW), Verband der 57 Studenten- und Studierendenwerke, vor 100 Jahren.

 

Unsere Aufgaben

Die Aufgaben der Studierendenwerke sind heute klar umrissen. Im hessischen Studentenwerksgesetz heißt es hierzu in § 3: „Aufgabe der Studentenwerke ist die wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche, sportliche und kulturelle Förderung der Studierenden. Die Studentenwerke berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse von Studierenden mit Kindern, Studierenden mit Behinderung und ausländischen Studierenden. Sie fördern die Vereinbarkeit von Studium und Familie.” In der heutigen Zeit scheinen diese Aufgaben selbstverständlich, doch das war nicht immer so. Sie sind historisch gewachsen. Wir werfen einen Blick zurück.

Die ersten Studentenwerke entstehen in der Umbruchzeit nach dem Ersten Weltkrieg. Viele junge Männer kommen damals von der Front zurück und strömen ins Studium. Die wirtschaftliche Situation ist prekär, Studieren ist teuer. Schon 1921 wird mit der „Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft“ (das spätere Deutsche Studentenwerk) ein erster Dachverband gegründet.

Die Wirtschaftshilfe unterstützt Studierende durch eine eigens gegründete Darlehenskasse, vergibt über die seit 1925 bestehende „Studienstiftung des deutschen Volks“ Stipendien oder vermittelt direkt Studentenjobs. An moderne Überlegungen wie Vereinbarkeit von Studium und Familie denkt damals noch niemand. Es gibt auch kaum Frauen, die studieren, und schon gar keine Mütter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wachsen die Aufgaben der Studentenwerke rasant. Die junge Bundesrepublik stellt mit dem Honnefer Modell Mittel für eine individuelle Ausbildungsförderung bereit, um die Bildungsreserven unter den jungen Menschen zu heben und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Auch erhalten die Studentenwerke als Institutionen mehr Ressourcen, um sich noch stärker um Bereiche wie Wohnen oder Verpflegung zu kümmern. An der grundsätzlichen Ausrichtung ändert sich aber noch nichts. Im hessischen Studentenwerksgesetz heißt es 1964: „Die Studentenwerke sind Selbsthilfeeinrichtungen. Sie fördern die Studenten wirtschaftlich und sorgen für deren Gesundheit.“ Gerade der letzte Punkt ist auch wörtlich zu verstehen: Die Studentenwerke betreiben in dieser Zeit eine eigene „Deutsche Studenten-Krankenversorgung“ (DSKV) – für die Studentinnen und Studenten der Gesamthochschule Kassel gibt es Anfang der 1970er sogar einen eigenen Arzt. Die Aufgaben des Studentenwerks Kassel sind im Gesetz klar definiert und eigenen Abteilungen zugewiesen: Studienförderung, Gesundheitsdienst, Wohnungsfürsorge, Mensabetriebe, Sozialeinrichtungen.

Ein letzter Baustein, der das Aufgabenspektrum des Studierendenwerks ergänzen soll, ist die Kinderbetreuung. Die Gesamthochschule Kassel richtet schon 1973 einen Reformkindergarten ein. In den 1990ern beginnen Planungen für eine eigene Kinderbetreuung durch das Studentenwerk. Gesetzlich wird die Kinderbetreuung an den hessischen Hochschulen aber noch nicht den Studierendenwerken zugewiesen. Das ändert sich erst mit dem neuen Studentenwerksgesetz 2006. Im Jahr 2009 startet die Kita „Die Frechdachse“.

Die Aufgaben und Ziele des Studierendenwerks Kassel sind in Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit dem Land Hessen und der Universität Kassel festgeschrieben – ein klares Zeichen für die hohe Verantwortlichkeit der Studierendenwerke und ihre elementare Bedeutung für die Infrastruktur des universitären Alltags.

Lesen Sie hier mehr über die Leitlinien des Studierendenwerks Kassel: www.studierendenwerk-kassel.de/wirueberuns/aufgaben/leitlinien

Unsere Struktur

Das Studierendenwerk Kassel ist heute eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Organe sind der Verwaltungsrat und die Geschäftsführerin als Beauftragte des Haushalts.

Der Verwaltungsrat besteht aus sechs Mitgliedern: Vorsitzender ist der Präsident der Universität, vertreten durch den Kanzler, eine Vertreterin der Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen, zwei Vertreter der Studierenden sowie eine Vertreterin und ein Vertreter der Beschäftigten des Studierendenwerks. So sind alle, die Interesse an einem erfolgreichen Studium haben, im obersten Kontrollgremium des Studierendenwerks vertreten. Die Zusammensetzung hat dabei eine lange Tradition.

Die ersten Studentenwerke entstehen nach dem Ersten Weltkrieg. Die wirtschaftliche Situation vieler Studierenden ist prekär, weshalb sie sich zu privaten Selbsthilfevereinen zusammenschließen. Auch Hochschullehrer sind früh involviert; von Beginn an haben Studierende und Professoren so einen festen Platz in den Gremien der Studentenwerke.

Der vom NS-Regime entfesselte Zweite Weltkrieg zwingt zahlreiche Studenten an die Front und unterbricht das Leben einer ganzen Generation. Diejenigen, die aus dem Krieg zurückkehren, stehen ein weiteres Mal vor der Aufgabe, einer wirtschaftlich schweren Situation zu trotzen. Das lösen die Studentenwerke erstmals auch durch Pflicht- und Solidaritätsumlagen aller Studierenden. Die Mitwirkung der Studierenden an ihrem jeweiligen Studentenwerk wird so noch sichtbarer. Bemerkenswert ist, dass in der Gründungsphase hierbei ausschließlich Männer beteiligt waren, da es kaum Studentinnen und Hochschullehrerinnen gab.

Ab Mitte der 1950er-Jahre unterstützen Bund und Länder die Studentenwerke finanziell, unter anderem mit dem Honnefer Modell und dem späteren BAföG. Das hat auch Auswirkungen auf die Rechtsform: Die Studentenwerke werden zu Anstalten des öffentlichen Rechts. Das Studentenwerk Kassel wird in dieser Rechtsform 1971 gegründet.

Auch wenn das Studierendenwerk eine dynamische Entwicklung genommen hat und immer auf die Bedürfnisse der Studierenden reagiert – an den zugrundeliegenden Organen und der Organisation hat sich seitdem wenig verändert. Die starke Stellung und das Mitbestimmungsrecht der Studierenden stehen im Kern der Organisation, während eine enge Verzahnung und der direkte Austausch mit der Politik den Studierendenwerken erlaubt, umsichtig für die Zukunft zu planen und auf veränderte Rahmenbedingungen früh reagieren zu können.